Das Bürgeramt von morgen: Intelligente Self-Service Systeme in der Kommunalverwaltung

Typ: Namensartikel , Datum: 07.06.2021

Prof. Dr Markus Tepe und Dr. Ina Radtke von der Universität Oldenburg sowie Christine Prokop von der Universität Twente berichten über ein neues Forschungsprojekt zum Einsatz von intelligenten Technologien in der Kommunalverwaltung.

aktuelles Zitat:

Dr. Ina Radtke
“In unserem Forschungsprojekt fragen wir, wie genau ein digitaler Service aussehen muss, damit er von Bürgerinnen und Bürgern angenommen wird.”

Dr. Ina Radtke

Dr. Ina Radtke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Unter der Projektleitung von Prof. Dr. Markus Tepe (Universität Oldenburg) und Ass. Prof. Dr. Christine Prokop (University of Twente) arbeitet sie im Forschungsprojekt "Intelligente Self-Service Systeme in der niedersächsischen Kommunalverwaltung (ISSS.Kom). Der kausale Effekt von Serviceversagen und Selbsterklärung auf Bürgerzufriedenheit und Technikakzeptanz."

ISSS Logo

In dem vom Land Niedersachsen geförderten Projekt untersucht das Forschungsteam, unter welchen Bedingungen Intelligente Self-Service-Systeme (ISSS) in der öffentlichen Verwaltung von Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert und geschätzt werden. Das Forschungsvorhaben ist im Januar 2021 gestartet und auf drei Jahre angesetzt. Es wird in Zusammenarbeit von Politikwissenschaftlern der Universität Oldenburg, Informatikern des OFFIS (Instituts für Informatik und der Stabstelle für Digitalisierung der Stadt Oldenburg) durchgeführt. Die Ergebnisse werden sowohl wissenschaftlich als auch praxisorientiert aufbereitet und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Ziele des Forschungsvorhabens

“Wir dürfen nicht vergessen: Im direkten Kontakt zur Verwaltung formt sich die Meinung von Bürgerinnen und Bürgern über die öffentliche Verwaltung, aber auch über das politische System.”

Im privaten Sektor sind Self-Service Terminals bereits etabliert, z. B. in Form von Selbstbedienungskassen im Einzelhandel. Im öffentlichen Sektor befinden sie sich gegenwärtig noch in der Entwicklungs- und Erprobungsphase. Im Gegensatz zum privaten Sektor ist die öffentliche Verwaltung ein Ort, an dem Bürgerinnen und -bürger und Verwaltungsmitarbeitende in Kontakt treten. Diese Interaktion ist eingebettet in formelle und informelle Normen, Werte und Erwartungen. Wie Bürgerinnen und Bürger Verwaltungshandeln erleben, beeinflusst letztendlich auch, ob sie administratives Handeln als legitim wahrnehmen und ob kooperativ mit den Behörden zusammenarbeiten und damit zur Koproduktion staatlicher Leistungen beitragen. In dem Forschungsprojekt werden wir untersuchen, inwieweit Bürgerinnen und Bürger neue, intelligente Technologien in der öffentlichen Verwaltung akzeptieren und welche Auswirkungen diese auf die Zufriedenheit mit Verwaltungsvorgängen haben.

Im Zentrum steht die Frage, wie sich die öffentliche Wahrnehmung von Verwaltungsdienstleistungen verändert, wenn "menschliche Bürokraten“ durch ISSS ersetzt werden. Wie wirkt es sich aus, wenn der Verwaltungsvorgang durch menschliches oder technisches Versagen scheitert? Werden Erklärungen des ISSS ebenso akzeptiert wie die von ausgebildetem Verwaltungspersonal? Dies sind einige der Fragen, die im Rahmen des dreijährigen Forschungsvorhabens mit Hilfe von Umfrage- und Feldexperimenten adressiert werden sollen.

Pilotstudie als Basis

Im Vorfeld des Forschungsvorhabens haben wir eine Pilotstudie durchgeführt und den Einfluss von digitalen Schnittstellen auf die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit standardisierten öffentlichen Dienstleistungen untersucht. Basierend auf den Ergebnissen der Pilotstudie konzeptionieren wir nun weitere experimentelle Erhebungen. So wollen wir untersuchen wie sich das Design digitaler, interaktiver Schnittstellen für standardisierte Verwaltungsprozesse auf die Wahrnehmung der Servicequalität durch Bürgerinnen und Bürger auswirkt. Aus methodologischer Sicht besteht eine Herausforderung darin, die Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger zu Technologien zu erheben, mit denen diese bisher wenig oder keine Erfahrung gemacht haben. Welche eService-Technologien sind in naher Zukunft praxistauglich? Welche Anforderungen stellen die neuen eServices an die Bürgerinnen und Bürger? Dies sind nur einige der Gründe, warum das Forschungsvorhaben auf die enge Kooperation mit Praxispartnern angewiesen ist.

Ersatz der Face-to-Face-Interaktion durch digitale Schnittstellen

In unserer Pilotstudie haben wir ein Experiment durchgeführt, bei dem Bürgerinnen und Bürger zu ihrer Zufriedenheit mit öffentlichen eServices befragt wurden. Im Experiment wird eine öffentliche Dienstleistung mit Bezug auf ihre psychologischen Kosten, die Servicequalität und die Art der Interaktion (Face-to-Face, Self-Service Terminal oder App) variiert. Die Ergebnisse zeigen, dass der Ersatz der Face-to-Face-Interaktion durch eine digitale Schnittstelle keinen Effekt auf die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit standardisierten öffentlichen Dienstleistungen hat. In Übereinstimmung mit früheren Untersuchungen zur Wiederherstellung von Bürgerzufriedenheit nach Serviceversagen stellen wir fest, dass eine Erklärung und Entschuldigung für das Serviceversagen kompensatorische Wirkung entfaltet. Basierend auf diesen Ergebnissen kommen wir zu dem Schluss, dass der Einsatz digitaler Schnittstellen für standardisierte Serviceleistungen das Ziel, die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit öffentlichen Dienstleistungen zu erhöhen, keinesfalls untergräbt. In der Pilotstudie haben wir Bürgerinnen und Bürger befragt und das klassische Umfragedesign mit einer experimentellen Methode erweitert. Zukünftig ist es uns wichtig, nicht nur Bürgerinnen und Bürger sondern auch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst zur Anwendung von eServices zu befragen.

Relevanz des OZG-Servicestandards für das Forschungsvorhaben

Aufmerksam geworden auf den Servicestandard sind wir im Rahmen des NExTcamp #2. Wir hatten an einer Session zum Servicestandard von Josephine Bernickel teilgenommen. Über den Austausch haben wir sehr schnell festgestellt, dass der Servicestandard und die Forschungsziele unseres Projektes zu einander sprechen. Im Nachgang zu der Veranstaltung haben wir in einem gemeinsamen Gespräch mit Frau Bernickel mehr über den Servicestandard und dessen Weiterentwicklung erfahren als auch unser konkretes Forschungsvorhaben vorgestellt. In dem offenen Diskurs zeigte sich schnell, dass es hier Synergien gibt.

Wir sehen in dem ganzheitlichen Orientierungsrahmen, den der Servicestandard bietet, vor allem eine Entlastungsfunktion. Zum einen muss nicht bei jeder einzelnen Dienstleitung von Neuem durchdacht werden, wie und mit welchen konkreten Zielen die Digitalisierung vollzogen werden sollte. Zum anderen kann ein Orientierungsrahmen Erfahrungsaustausch und Lernen begünstigen, da die einzelnen Digitalisierungsvorhaben vergleichbarer sind.

Von den 19 Prinzipien des OZG-Servicestandards ist für unsere Forschung vor allem das Thema Nutzerzentrierung, aber auch das Wirkungscontrolling von Interesse. Wir fragen, wie genau ein digitaler Service aussehen muss, damit er von Bürgerinnen und Bürgern angenommen wird. Und: Unter welchen Bedingungen die Amtsbesucherinnen und -besucher selbständiges Entscheiden durch Algorithmen und fehlerhafte digitale Verwaltungsvorgänge akzeptieren.

Eine gute Verwaltungsleistung ist eine, die bei Bürgerinnen und Bürgern das Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit und Effektivität der öffentlichen Verwaltung erhöht. Denn wir dürfen nicht vergessen: Im direkten Kontakt zur Verwaltung formt sich die Meinung von Bürgerinnen und Bürgern über die öffentliche Verwaltung, aber auch über das politische System.

Empfehlung für die weitere OZG-Umsetzung

Das Forschungsvorhaben befindet sich noch am Anfang. Tipps für andere OZG-Umsetzende wären daher verfrüht. Unsere Empfehlung bzw. unser Wunsch für die weitere Umsetzung des OZG wäre es, frühzeitig Forschungsdesigns aus der behavioristischen Verwaltungswissenschaft zu nutzen. Die behavioristische Verwaltungswissenschaft (engl. Behavioral Public Administration) verfolgt eine interdisziplinäre Analyse der öffentlichen Verwaltung. Sie bezieht Ansätze aus der Psychologie und anderen Verhaltenswissenschaften ein. In methodischer Hinsicht zeichnet sich der Ansatz durch die systematische Verwendung von experimentellen Untersuchungsdesign aus, um den kausalen Effekte von technischen Innovationen und institutionellen Veränderungen auf das Verhalten und die Einstellungen von Bürgerinnen, Bürgern und Beschäftigten zu identifizieren. Ziel ist es auf Grundlage einer solchen verhaltensorientierten, verwaltungswissenschaftlichen Begleitforschung eine empirisch informierte Umsetzung des OZG zu erreichen.

Das Forschungsteam

Dr. Ina Radtke Dr. Ina Radtke (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), Projektmitarbeiterin “Intelligente Self-Service Systeme in der niedersächsischen Kommunalverwaltung (ISSS.Kom)“

Prof. Dr. Markus Tepe Prof. Dr. Markus Tepe (Universität Oldenburg), Projektleitung “Intelligente Self-Service Systeme in der niedersächsischen Kommunalverwaltung (ISSS.Kom)“

Ass. Prof. Dr. Christine Prokop Ass. Prof. Dr. Christine Prokop (University of Twente), Projektleitung “Intelligente Self-Service Systeme in der niedersächsischen Kommunalverwaltung (ISSS.Kom)“

Die Seite onlinezugangsgesetz.de veröffentlicht an dieser Stelle regelmäßig Gastbeiträge. Diese geben einen persönlichen Einblick in die Prozesse und Projekte rund um die OZG-Umsetzung. Es handelt sich um die Meinungen und Eindrücke der jeweiligen Akteurinnen und Akteure. Sie entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des BMI.

Zum Thema

  • Pilotstudie “Effect of Digital Interfaces on Citizens’ Satisfaction with Standardized Public Services. Public Administration” (Prokop/Tepe 2021)

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